Ein Dokumentarfilm von Katja Baumgarten
in Zusammenarbeit mit Gisela Tuchtenhagen (Kamera mit Ton)
Deutschland, 88 Minuten, Uraufführung 52. Berlinale 2002


«Sie müssen entscheiden!»
sagt der Arzt für Pränataldiagnostik zu mir.

Ultraschalluntersuchung in der Mitte der Schwangerschaft.
Diagnose: „komplexes Fehlbildungssyndrom in der 21. Schwangerschaftswoche, Verdacht auf Chromosomenanomalie.
Die Prognose muss als deutlich schlecht bezeichnet werden. […] Sie müssen entscheiden!“, sagt der Facharzt für Pränataldiagnostik zu mir.

„Die sofortige Beendigung der Schwangerschaft ist in einer solchen Situation der übliche Weg.“

Der autobiographische Dokumentarfilm handelt vom Dasein, von Geburt und Abschied meines Sohnes Martin Tim, von persönlichen Fragen und Entwicklungen nach der Konfrontation mit der bestürzenden Diagnose – vor allem von der plötzlichen Forderung an mich, über die Dauer des Lebens und die Bedingungen des Todes eines meiner vier Kinder entscheiden zu müssen.

Ein Film über Bilder und Vorstellungen.


Hintergrund

Noch als ich dem Facharzt gegenüber sitze, taucht reflexartig die Idee zu diesem Film auf. Das, was jetzt passieren wird, ist in jedem Fall zu groß für mich. Dokumentation als ein Zeugnis, wo ich fürchte, die Orientierung im inneren Chaos zu verlieren. Ich will die Not dieser Entscheidung nicht für mich behalten, sondern irgendwann in die Öffentlichkeit zurückzugeben, was gewöhnlich verschwiegen im Privaten vollzogen wird.

Als Hebamme weiß ich, dass die Entscheidung gegen das eigene Kind, eine Mutter ihr Leben lang als Schatten begleiten kann. Zum Schutz ihrer Gesundheit gesetzlich möglich, scheint oft auch die unausgesprochene Botschaft bei dieser „Wahlmöglichkeit“ zwischen Leben und Tod hindurch: „Wenn Du an den unberechenbaren Aufgaben zerbrechen wirst, die Dein ungeborenes krankes Kind Dir stellen könnte – hast Du selbst Schuld“.

Gisela Tuchtenhagen reagiert sofort auf meine Bitte, zu kommen: vier Tage später die ersten Dreharbeiten. Ich erzähle meiner Freundin, was mich bewegt – so wie ich es ihr auch ohne Kamera erzählt hätte. Giselas Blick durch die Kamera lässt für mich niemals Schutzlosigkeit und Preisgabe aufkommen. Gleichzeitig entstehen eigene Videoaufnahmen, Bilder die ich während dieser Lebenskrise und nach der Zeit mit Martin in meinem Alltag finde – die ersten am Tag der Diagnose.

Ob ich das persönliche Videomaterial im Film verwenden würde, wußte ich damals noch nicht. Vielleicht würde es mich einmal inspirieren, bei einer eher assoziativen Annährerung in der Filmerzählung.
Erst ein Jahr später betrachte ich alle Videobänder. Eine Herausforderung, die angemessene Form für dieses Tabuthema zu finden – die Arbeit am Film hat mich vier Jahre begleitet.

Deutschland 2001/2002, 88 Minuten
DV/DVcam –> 35 mm Film
FSK: freigegeben ab 12 Jahren

Uraufführung – 52. Berlinale
Perspektive deutsches Kino
10. Februar 2002

Die Reihe Perspektive Deutsches Kino bietet in- und ausländischen Besuchern der Internationalen Filmfestspiele die Möglichkeit, sich über den aktuellen Stand der deutschen Filmproduktion zu informieren. Dabei möchte diese Reihe vor allem den Blick auf Produktionen mit besonderer Handschrift, zukunftsweisender Ästhetik oder ungewöhnlichen Mach- und Stilarten lenken. Die Reihe will den deutschen Film von seiner aktuellsten und unkonventionellsten Seite zeigen. (Berlinale-Text)

lobende Erwähnung bei der Preisverleihung des
17. Internationalen Dokumentarfilmfestivals München

Bundesstart im Kino
10. April 2003

Erstausstrahlung auf ARTE
28. Juni 2003

Festivals: Berlin, München, Duisburg, Braunschweig, Kassel, Dortmund, Pärnu (EST), San Benedetto del Tronto (I), Jilhava (CZ)